Perle des Appenzellerlands als Hort der unverblümten Politik

Der Böögg explodierte in Stein wunschgemäss. Am Sonntagnachmittag tagte dort die polit- und gesellschaftssatirische Ausserrhoder Narregmeend - eine grosse Gaudi, zu der Menschen aus allen Ecken des Kantons strömten. Einziger halbwegs ernster Moment: die Abdankungsfeier für das Volkskundemuseum in Stein.

Am Sechseläuten in Zürich waren 600 Ausserrhoderinnen und Ausserrhoder zugegen; an der fulminanten Narregmeend in Stein nahm gefühlt der halbe Kanton teil. Scharen von Stände-, Regierungs-, Kantons- und Gemeinderäten und -rätinnen machten mit. Nur der Landammann fehlte – «wie allewile», so Rösslistompe-Joggeli. Am Anfang stand kurz ein trauriger Moment: Vor dem Volkskundemuseum wurde mit angemessenem Ernst, mit Zügelsärgli, Entsorgungsvorschlägen und schrägem Trompetensolo dem totgesagten Ausstellungshaus Ausserrhoder Kulturgutes gedacht.

Auf dem Steiner Dorfplatz ging es danach übermütig, schlagfertig, zünftig und politisch nicht perfekt korrekt zu und her. Deftige Reden wurden geschwungen. Säckelmeister Rösslistompe-Joggeli machte der Versammlung eine Fusion der Gemeinden Stein und Hundwil mit direktem Finanzausgleich und gemeinsamen Wirtshäusern schmackhaft. Kirchenpfleger Güüggel-Ruedi sprach in steinigen Metaphern: Er erzählte den Reformierten, Ausgetretenen und Abergläubigen vom rotbackigen handorgelspielenden Steinbeisser, von Zahn-, Nieren und Gallensteinen, von Steinbutt, Steinpilzen und Steinmarder auf Steiner Tellern und von steinstossenden Steinerinnen. Sportmagister Holmen-Jock würdigte die Spitzensportler, die Stein hervorgebracht hat: Simon Ehammer, Michael Bless, Gymnastikgruppe und Armbrustschützenverein. Er berichtete von einem Sensationsfund beim Inventarisieren des Museums: das Schiessbüchlein von Wilhelm Tell. Und Schlagrian (ehemals Meldeläufer Molitor) besang schmalzlockig die Windkraft als Kraft der Zukunft Ausserrhodens.

Lisa Roth, Gemeindepräsidentin von Trogen, wurde zur Protokollantin gekürt. Auf ihrem schönen Landsgemeindeplatz soll die nächste Narregmeend ausgerichtet werden. Der Steiner Kirchturmwärter (Werner Hugener) löste mit seinem Lobgesang auf seine Wahlheimatgemeinde in blumigem Berner Dialekt Begeisterungsstürme aus. Höhepunkt war auch die Explosion des gossspurigen Böggs, um den die «Dicke-Eier-Gesellschaft» galoppierte. Anstatt ihn mit Kostenüberschreitungen zu «bibäbele und in Hung tuncke», befahl Versammlungsführer Hoptmaa Chläppere-Sepp (Schauspieler Philipp Langenegger): «Abfackle de Suchog!». In 2 Minuten und 11 Sekunden war das Pulver verschossen, was natürlich nur Gutes verheisst für Ausserrhoden. Ein historischer Moment war die (fast) erstmalige Ansprache einer weiblich gelesenen Person, eine ortsnamenverspielte Rede der Appenzeller Käsekönigin. Sie will demnächst den rääfsten Chäs lancieren. Nach gut zwei Stunden Schlagabtausch, interkulturellem Austausch mit Zürcher Zünftern, mit Preisverleihungen und mit Anstossen und Eierverdrücken schunkelten die Teilnehmenden selig und als einig Volk zu «Steiner Chilbi» und zum tränenrührenden «Tschau Museum» von Schlagrian.

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