Auf diese Fragen ging das «Kulturfenster» 2023 am vergangenen Samstag auf dem Säntisgipfel ein und fand eindrückliche und inspirierende Antworten darauf. Wie jedes Jahr war der Anlass höchst interessant, spannend, «aamächelig» und unterhaltsam – innovative Tradition eben!
Ohne Geschichte keine Innovation
Das Trio «Anderscht» eröffnete mit einem musikalischen Feuerwerk den vielversprechenden Tag mit vier Referenten. Heidi Eisenhut, Leiterin der Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden, behauptete zu Beginn: «Ohne Geschichte gibt es keine Innovation». Mit drei eindrücklichen Beispielen brachte sie die Verbindung von Altem mit Neuem verständlich und nachvollziehbar näher. Mit dem umgebauten Kloster Ilanz oder dem heutigen Hausbau konnte sie diese Behauptung bestätigen. Der einfache Baustil von früher hat heute noch Vorbildcharakter und findet sich auch in neuen Gebäuden mit angepassten Baumodulen und Werkstoffen wieder.
Ein weiteres Beispiel fand sie in der Appenzeller Stickerei. Sophie Taeuber, Avantgardistin, aufgewachsen in Ausserrhoden, griff die alte, überlieferte Technik der Stickerei auf, verlieh ihren Werken eine neue Form und setzte damit neue Massstäbe im textilen Gestalten.
Im dritten und letzten Beispiel illustrierte sie ihre Behauptung mit dem «Cowboybild» von Ueli Alder – ein Cowboy vor dem Säntis stehend, Pferde und ein Alpaufzug im Hintergrund. Vertrautes vermischt sich mit fremden Elementen. Hier zeigte sie auf, dass Neugier Offenheit für Neues und eine höhere Toleranz erfordert, um Veränderungen zuzulassen. Es gibt Dinge, die brauchen einfach Zeit.
Ursprung und Gegenwart
Der Musiker, Komponist und Referent, Peter Roth wagte sich ebenfalls an das komplexe Thema. In seinem philosophischen Referat beleuchtete er aus dem Buch «Ursprung und Gegenwart» von Jean Gebser die Bewusstseinsentwicklung des Menschen im Laufe seiner physischen Evolution: magisches, mythisches, archaisches und mentales Bewusstsein. Er hinterfragte die Entwicklung von der alten Hirten- und Ackerbaugesellschaft bis zum heutigen modernen Menschen: Verlust vom Einklang mit der Natur, Erfindung von kulturellen Innovationen, das Verhältnis zur Natur ist gestört. Die Welt hat sich verändert. Es braucht jetzt die Einsicht, dass es nicht um die Kultivierung der Natur durch die Menschen geht, sondern vielmehr um die Kultivierung des Menschen, die ein gestörtes Verhältnis zur Natur haben. Entschleunigung und Sinnfindung sind für ihn die wichtigsten Möglichkeiten, die in den Alltag einfliessen sollten. Mit dem Spiritual «Come and go to this land, where I’m bound» schloss er sein wachrüttelndes Referat.
Getreideanbau in den Voralpen
Alpsteinkorn ist ein Label, von dem man in Zukunft noch viel hören wird. Köbi Knaus, Pionier und Präsident beim Verein Alpsteinkorn, entführte die über 130 interessierten Anwesenden in den Getreideanbau in den Voralpen. Der Verein Alpsteinkorn will mit seinen zukunftsweisenden und nachhaltenden Projekten die Qualität und Quantität des Berggetreideanbaus in der Region Alpstein verbessern. Mit den veränderten Klimabedingungen wird der Getreideanbau in die Höhenlage gedrängt, was ein Umdenken erfordert. Zudem sollen die Nahrungsmittelsicherheit und der Selbstversorgungsgrad gewährleistet bleiben Durch die intensive Zusammenarbeit mit anderen Institutionen (Forschungsinstitute, ETH etc.) werden Versuche durchgeführt, die helfen, Getreidesorten zu finden, welche diesen Anforderungen gerecht werden. Mit seinen anschaulichen Beispielen zeigte er die bereits erzielten Erfolge auf.
Vom Tierfutter zur Proteinquelle
Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz sind bei der Brauerei Locher AG von Appenzell grossgeschrieben. Aurèle Meyer, Geschäftsführer der Locher AG, stellte den schweizweit bekannten Betrieb im Überblick vor. Wenn er von Innovation spricht, meint er nicht Biogasheizung oder Solarzellen – diese Anlagen seien heute Standard. Vielmehr meinte er die Kreislaufwirtschaft, die sich darauf konzentriert, Rohstoffe effizient und so nachhaltig wie möglich zu nutzen. Das wichtigste Nebenprodukt der Bierherstellung ist der Treber (Rückstände des Braumalzes). Früher wurde dieser zu Tierfutter verarbeitet, heute verwendet man diese Proteinquelle für vegetarischen Fleischersatz, Pizza und Apérogebäck. So konnte dann das Geheimnis für das Mittagessen gelüftet werden: Alle Anwesenden wurden Teil dieser Innovation. Das «Ghackets mit Hörnli» entpuppte sich schliesslich als veganes Menü.
Hochkarätige Musik
Zwischen den Referaten wurde das Kulturfenster 2023 mit hochkarätiger Musik unterhalten. Das Trio «Anderscht» verzauberte und faszinierte mit seinen traditionellen Instrumenten, grosser Spielfreude und höchster Virtuosität. Ein Zäuerli gefolgt von Tango und Funk – ein Ohrenschmaus. Ebenso taten es ihnen «Wiibli ond Mandli» gleich. Melanie Dörig und Meinrad Koch überzeugten mit ihrer begeisternden Darbietung – einmal mehr Tradition und Innovation. Mit der abschliessenden Podiumsdiskussion liess der Moderator Hans Höhener alle Referenten und Protagonisten noch einmal zu Wort kommen.