Doris Köppel, Leiterin der Volks- und Kantonsbibliothek, eröffnete, dass sie und Berta Thurnherr etwas Gemeinsames haben. Sie sind beide in Diepoldsau aufgewachsen. «Wenn Sie uns reden hören, klingt das ähnlich – aber eigentlich doch nicht so ganz. Denn die Sprache hat sich gewandelt», sagte Köppel.
Immaterielles Kulturgut
Berta Thurnherr wurde 1946 geboren und ist in Diepoldsau-Schmitter aufgewachsen. Sie absolvierte eine kaufmännische Ausbildung, im Alter von 45 Jahren liess sie sich zur Kindergärtnerin ausbilden und arbeitete fortan mit Kindern. In den 1980er-Jahren dokumentierte sie gemeinsam mit ihrer Schwester Maria Schmid die Diepoldsauer Mundart und deren Geschichten auf 40 Tonbändern. Dieses immaterielle Kulturgut liegt heute im Phonogrammarchiv der Universität Zürich.
«Goldiga Törgga» gewonnen
Berta Thurnherr ist Autorin und Erzählerin. Sie schreibt Gedichte, Liedtexte und Geschichten im Diepoldsauer Dialekt. Sie hat zwei Bücher geschrieben mit den Titeln «As wöart schù wööara, ma tuat wamma kaa», im letzten Jahr kam das Buch «Rundumm Rii» heraus.
Ihre Arbeit zur Diepoldsauer Mundart wurde mehrfach gewürdigt. 2018 hat sie den Rheintaler Kulturpreis «Goldiga Törgga» gewonnen, im Jahr 2021 erhielt sie den Anerkennungspreis der Kulturstiftung des Kantons St. Gallen. 2023 war sie Gast an den Solothurner Literaturtagen. In diesem Jahr wurde sie sogar für den «G&G» Award («Gesichter und Geschichten») in der Kategorie «Grenzgänger:in» nominiert. Gewonnen hatte das Duo Mona Vetsch und Tom Gisler.
Berichte von Zeitzeugen
«Eine wirklich interessante Persönlichkeit», sagte Doris Köppel über Berta Thurnherr, die 2023 für den Nationalrat kandidiert hatte.
Die Besucher kamen am Montagabend in den Genuss einer speziellen Lesung. Sie hörten die ursprüngliche Diepoldsauer Mundart, die sich, wie jede Mundart, weiterentwickelt hat und von den Kindern und Jugendlichen meist nicht mehr so «breit» gesprochen wird. Berta Thurnherr zog die Zuhörenden vom ersten Satz an in ihren Bann. Es war nicht nur der unverwechselbare Dialekt, der gefiel, sondern auch die Art und Weise, wie sie las. Die Betonung und die Mimik liessen das Publikum immer wieder lachen. Und wie es im Appenzeller Dialekt Ausdrücke gibt, die «Frönti» nicht verstehen, gibt es wiederum im Diepoldsauer Dialekt Ausdrücke, welche Appenzeller nicht verstehen, und die Berta Thurnherr «übersetzte».
Es war eine Freude, der Autorin zuzuhören, wenn sie Texte, Geschichten und Gedichte vortrug. Sie erzählte, wie gerne sie schon als Kind gelesen hat. Eines der ersten Kinderbücher, das sie verschlungen habe, sei «Etwas von den Wurzelkindern» gewesen. Sie verriet, dass sie als Kind in der Nacht Romane gelesen habe, die eigentlich streng verboten gewesen seien. In der 1. Sek sei sie im Maria Hilf in Altstätten gewesen. Damals habe es statt Toilettenpapier zugeschnittenes Zeitungspapier auf dem «Läubli» gehabt. Nachts sei sie auf die Toilette gegangen und habe diese Zeitungsausschnitte gelesen, ohne einen Zusammenhang zu haben.
«Nie habe ich gedacht, dass einmal mein Name auf einem Buch stehen wird», sagte Berta Thurnherr und nahm ihre beiden Bücher in die Hände. Sie erzählte beziehungsweise las von den früheren schönen Blumen am Rheinbord, von der Bäse Katrin, vom Himmeldätti, vom Schmugglerleben, von Zuversicht und von der Machtlosigkeit gegen Krankheit, weil das Geld für den Arzt fehlte.
Den Schlusspunkt setzte ein Text über eine Geburt auf der Autobahn vor genau 55 Jahren. Berta Thurnherr lüftete ein Geheimnis: Das Kind, das auf der Autobahn zur Welt gekommen war, war ihre Tochter, die am Montagabend ebenfalls im Publikum sass.