Schon eine Viertelstunde vor Beginn des Gottesdienstes mussten Bänke aus der bereitstehenden Festwirtschaft geholt werden, um allen Besucherinnen und Besuchern Sitzplätze anbieten zu können. Herrliches, nicht zu heisses Sommerwetter lockte, und der prächtige Nussbaum vor dem Wohnhaus der Familie Lang spendete Schatten für einen Grossteil der Besuchenden. Der Platz mit Blick auf das kleine Gotteshaus füllte sich zusehends. Mit Alphornklang und dem Läuten der Glocke im Türmchen begann die Feier, die Seelsorger Albert Kappenthuler leitete. Es sei sein letzter ordentlicher Dienst in Oberegg, merkte er an. Er wechsle schon morgen ins Lager der Pensionierten, werde aber gelegentlich als Aushilfe einspringen, wenn Not am Manne ist.
Toleranz vor allem
In seiner Predigt thematisierte der Seelsorger den Widerstreit und das Zusammenspiel von Getreide und Unkraut. Schon das alte Testament widmet sich dem Thema. Was soll man ausreissen, was tolerieren? Die Frage stelle sich ihm beim Jäten im Garten. Die Schlingpflanze an der Mauer darf gedeihen, jene am Zierstrauch muss geopfert werden, damit diesem kein Schaden erwächst. Übertragen auf den Menschen und den Umgang miteinander springe das Wort Toleranz ins Auge. Sie sein ein Privileg des Stärkeren, der einen ihm unbequemen Menschen ausgrenzen oder aber in seiner Art akzeptieren könne. Selbst der schlimmste Feind müsse als Mensch gesehen werden – ein hoher Anspruch an gläubige Christen. Wichtig sei auch, Andersgläubige in ihrer eigenen Tradition zu akzeptieren. Und mit Blick auf die zunehmend zerrüttete Welt meinte er, Gewalt führe nie dauerhaft zum Ziel, ziehe aber Unheil nach, wo man auch hinschaue. Albert Kappenthuler rief in Erinnerung, dass der Weg zu einer friedlichen Welt im nächsten Umfeld jedes Einzelnen und jeder Familie beginne. Da, wo man direkt Einfluss nehmen kann, wird die Welt mit gutem Willen spürbar besser.
Vor 350 Jahren
1654 wurde die erste Pfarrkirche von Oberegg erbaut, nachdem der Bischof von Konstanz die Herauslösung der Halbrhoden Oberegg und Hirschberg aus den Rheintaler Pfarreien Berneck, Marbach und Altstätten genehmigt hatte. Die Altarweihe durch Weihbischof Georg Sigismund von Konstanz erfolgte am 6. September 1657. Schon zwei Jahrzehnte später konnte die Kapelle St. Anna im Eschenmoos konsekriert werden. Ihre Entstehung hatte die Witwe Anna Bischofberger durch ein grosszügiges Legat ermöglicht. Ihr Wunsch war es, dass dem Pfarrer ein Kaplan zur Seite gestellt werde, der in der Nähe der Kapelle (Baujahr 1671) Wohnsitz nehmen sollte. Die Kirchhöri von 1681 entschied jedoch, dass direkt neben der Pfarrkirche eine Kaplanei zu bauen sei. Der Kaplan wurde dem Gotteshaus unterstellt mit der Zusicherung, dass in der Kapelle St. Anna jede Woche eine heilige Messe gelesen werde. 1974 wurde die Stelle des Kaplans aufgehoben. Der wöchentliche Gottesdienst ist nicht mehr zeitgemäss.