«Bücher können Beitrag zur gelebten Toleranz leisten»

Ist es möglich, Völkerverständigung über Literatur, mit Büchern und Poesie, zu fördern? Tatjana Hofmann glaubt fest daran und hat bei ihrer Arbeit diese Vision fest im Blick.

  • Ukraine-Expertin Tatjana Hofmann im Bücherladen Appenzell.  (Bild: zVg)

    Ukraine-Expertin Tatjana Hofmann im Bücherladen Appenzell. (Bild: zVg)

Die Wahlzürcherin, die auf der Krim geboren und aufgewachsen ist, erforscht an der Universität Zürich anhand des literarischen Schaffens die konfliktreichen Verbindungen der Ukraine und Russlands. Und bringt so Literatur, Geschichte und Politik zusammen. Am Mittwochabend im Bücherladen Appenzell durfte das Publikum durch ihren Vortrag eine genauere, tiefer gehende und breitere Auslegung der russisch-ukrainischen Beziehung erleben.

Mit Blick in die Vergangenheit der Ukraine zeigte Tatjana Hofmann auf, dass dieser junge Staat eine komplexe Geschichte hat, die sich auch in der Literaturgeschichte abbildet. Gerade diese Komplexität erlaubte es auch, dass die Idee, was die Ukraine sein soll, was zur ukrainischen Literatur zählen soll, immer wieder von verschiedensten Gruppen – Polen und Russen zum Beispiel – leicht vereinnahmt werden konnte. Die Pluralität dieses jungen Staates konnte, wurde bis heute nicht gelebt und führte so nicht zu mehr Vielfalt, sondern zu mehr Gespaltenheit. Der Fluss Dnipro, der die Ukraine in einen nach Polen und Litauen westlich orientierten Teil und in einen östlich, nach Russland, orientierten Teil trennt, ist ein Symbol dafür. Bücher können ihren Beitrag zur gelebten Toleranz leisten, wenn sie so geschrieben sind, dass sie Perspektiven gewinnen lassen, sagte Tatjana Hofmann. Und fand so ganz klar, dass sich Literatur ihrer Aufgabe und Wirkung bewusst sein soll, soll sie zur Nationalliteratur zählen. Mit ihrem Buch «Sewastopologia», das unter anderem von ihrer Kindheit auf der Krim handelt, bietet sie Einblicke in das, was auch ukrainisch sein könnte. Verschiedene von ukrainisch auf deutsch übersetzte Bücher tun das aber gerade nicht. Als Beispiel nannte Tatjana Hofmann den Suhrkamp-Verlag, der einen Essay-Band zur Ukraine veröffentlichte. «Das letzte Territorium» beinhaltet ausschliesslich Essays von Juri Andruchowytsch, der in seinen Büchern immer wieder das Russische dämonisiert. Damit sei beileibe nicht die ganze Ukraine abgebildet.

Dass das Gespräch mit anders denkenden und schreibenden Ukrainerinnen und Ukrainer hier nicht aufgenommen wurde, fand sie bedenklich. Für diesen Abend im Bücherladen galt dies jedoch nicht: Eine Stimme aus dem Publikum hinterfragte Tatjana Hofmanns Idee der Pluralität, sah in der Geschichte der Ukraine die immerwährende Bedrohung durch Russland als erwiesen und mit so hohem Blutzoll bezahlt, dass ein Zusammen irgendwelcher Art unmöglich ist. Ein Leser von Juri Andruchowytsch‘ Bücher fand diese witzig geschrieben und empfand dessen Darstellung des Russischen nicht als herablassend. So hat vielleicht dieser Abend eingelöst, was sich Tatjana Hofmann immer für die Ukraine erhofft hatte – verschiedene Meinungen sind aufeinandergeprallt, Perspektiven haben sich erweitert und am Ende hat man miteinander ein Glas Wein getrunken und sich über Essen, die Appenzeller Landschaft und gute Bücher unterhalten.

3
4

Weitere Artikel

Schreibe einen Kommentar