Herisau | 01.11.2023 | 07:00 Uhr
gk
50 Tonnen pro Woche: Yvonne Thoma erzählt von ihrem Alltag in der Müllabfuhr
In Herisau werden jedes Jahr mehrere Tausend Tonnen Kehricht, Papier und Grünabfälle eingesammelt. Yvonne Thoma fährt jede Woche als Beladerin durch die Strassen. Sie erzählt, was sie an ihrem Beruf mag und wie die Menschen ihren Alltag erleichtern könnten.
Yvonne Thoma ist sich Wind und Wetter gewohnt. Zum Gespräch erscheint sie bei strömendem Regen ohne Schirm. Die Brillengläser sind gesprenkelt, der Händedruck fest. «Ich bin Yvonne», sagt sie direkt und unkompliziert. «Bis zum Café ist es ja nicht weit, oder?» Fünf Minuten später sitzt sie mit einem wärmenden Kaffee vor sich auf dem Tisch und erzählt über ihren Beruf. Gemeinsam mit ihrem Mann Florian Thoma führt sie die «Thoma Entsorgung & Recycling AG», die in Herisau für die Papier- und
Grünabfuhr zuständig ist. «Zu Beginn war ich als Frau eine Exotin», sagt Yvonne Thoma. «Aber viele Menschen kommen interessiert auf mich zu, wenn ich hinten auf dem Lastwagen stehe. Sie finden es toll, dass eine Frau diesen Job macht.» Seit mittlerweile zehn Jahren führen die Thomas den Betrieb – dabei stammen beide aus ganz anderen Berufen. «Mein Mann war Metzger, wollte aber schon immer den Führerschein für Lastwagen machen. Danach hat er bei dem Unternehmen eine Stelle gefunden, das wir später übernehmen konnten.» Sie selbst sei gelernte Bäckerin und Konditorin. «Ich habe eine Weiterbildung im Finanzwesen gemacht und bin nochmals vier Jahre in die Schule gegangen. Neben den Fahrten als Beladerin mache ich das Büro im Betrieb.»
Die alte Frau am Fenster
Nur im Büro zu sitzen, kam für Yvonne Thoma nicht in Frage. «Wenn ich draussen unterwegs bin, kann ich abschalten und mich körperlich betätigen. Zudem bin ich dadurch näher an der Basis und weiss, was unsere Mitarbeitenden beschäftigt und mit welchen Herausforderungen sie konfrontiert werden.» Letztere haben viele Gesichter – von ungeduldigen Autofahrern über die Eigenheiten des Wetters bis zu falsch hinausgestelltem Papier/Karton und Abfallsäcken. «Spannend ist ja, dass meistens jemand anderes die Schuld trägt», sagt Yvonne Thoma. «Wenn ich beispielsweise lose Glasscherben in einem Sack finde und an der Tür klingle, war es garantiert die Frau, wenn der Mann aufmacht – und er, wenn sie aufmacht.» Es gäbe in jeder Gemeinde die eine oder andere Strasse, die unter den Entsorgern bekannt sei. «Wir haben Aufkleber, auf denen wir vermerken können, weshalb wir dieses oder jenes nicht mitnehmen. Meistens steht das Zeug allerdings auch ein paar Tage später noch dort. Viele denken sich: Jetzt ist es draussen und nicht mehr mein Problem.»
Yvonne Thoma unterstreicht allerdings, dass dies Meckern auf hohem Niveau sei. «Die negativen Erlebnisse bleiben stärker im Gedächtnis, weil sie mit mehr Emotionen verknüpft sind. Wenn ein Autofahrer hupt, wühlt mich das mehr auf, wie wenn einer geduldig hinter dem Lastwagen wartet.» In diesen Fällen wendet sie einen einfachen Trick an. «Wenn ich den Menschen ein Lächeln schenke und ihnen einen guten Morgen wünsche, kommt oft beides zurück.» Ohnehin weiss Yvonne Thoma viele kleine Anekdoten zu erzählen, die einem zum Schmunzeln bringen. «Da sind die Kinder, die jede Woche an derselben Stelle warten und winken. Oder die alte Frau, die aus dem Fenster schaut und uns grüsst, wenn wir bei ihr vorbeifahren.»
Der Blick aufs Wetter
Herisau ist für die Entsorgung in drei Zonen unterteilt. Die Kehrichtabfuhr kommt wöchentlich, die Papierabfuhr alle drei Wochen und die Grünabfuhr 18-mal im Jahr. «Dieser Plan wird jedes Jahr von der Gemeinde erstellt», sagt Yvonne Thoma. Während sich ihr Unternehmen um die Papier- und Grünabfuhr kümmert, fällt die Kehrichtsammlung in das Aufgabengebiet des Zweckverbands Abfallverwertung Bazenheid ZAB. Thoma beschreibt die Zusammenarbeit mit dem ZAB als eine «Arbeitsgemeinschaft», die bestens funktioniere. «Wenn wir Papier oder Grüngut einsammeln, fahren wir in der Regel immer dieselben Routen. Ausnahmen gibt es vor allem im Winter.» So könne es einmal vorkommen, dass bestimmte Gegenden morgens statt am Nachmittag angefahren werden, um bessere Strassenverhältnisse vorzufinden. «Daher sind wir froh, wenn die Einwohnerinnen und Einwohner das Papier oder die Grüntonnen um sieben Uhr morgens bereitstellen, wenn unsere Schicht beginnt», so Thoma. «Viele Menschen sind Gewohnheitstiere und wissen, um welche Uhrzeit wir normalerweise vorfahren. Wenn wir dann einmal früher oder später dran sind, verwerfen einige die Hände.»
Obwohl in der Region vieles gut läuft und die Entsorgung rege genutzt wird, wünscht sich Yvonne Thoma die eine oder andere Verbesserung. «Es sind oftmals die einfachen Dinge, die unsere Arbeit erleichtern: Die Abfallsäcke zubinden, Papier zusammenbinden und nicht in eine Einkaufstasche stopfen, Tetra-Packungen nicht mit dem Karton entsorgen, das Maximalgewicht der Säcke beachten und das Abfuhrgut direkt an die Strasse stellen.» Letztlich biete jede Gemeinde mit den Separatabfuhren eine bequeme Dienstleistung. «Wenn jeder seinen Abfall selbst entsorgt, wird das Angebot irgendwann reduziert. Sammelstellen wie der WinWin-Markt sind nicht darauf ausgelegt, grössere Mengen an Kehricht, Papier oder Grüngut aufzunehmen.»
Einstieg in den Arbeitsmarkt
Yvonne Thoma macht ihren Job mit Leidenschaft. «Ich habe es gerne sauber, schätze den Kontakt mit den Menschen und mache gerne etwas mit den Händen.» Es sei ein anstrengender Beruf, aber auch einer, der Chancen bietet. «Wir können beispielsweise Menschen ohne Ausbildung einen Weg in den Arbeitsmarkt ermöglichen.» Thoma erzählt die Geschichte eines Kenianers, der eine Schweizerin geheiratet habe und deshalb nach Herisau gekommen sei. «Sie hat uns nach Arbeit für ihn angefragt, und wir konnten ihn für die beiden Abfuhrtage in Herisau einstellen. Er war sehr engagiert, wollte die Sprache schnell lernen und war immer freundlich.» Mittlerweile konnte Thoma ihm helfen, eine Vollzeitstelle in einem anderen Unternehmen zu finden. «Wir können Türen öffnen, wenn sich jemand nicht zu schade für diese Arbeit ist und es wirklich will. Und übrigens», Yvonne Thoma trinkt ihren Kaffee aus und schaut in den Regen, «hat der Kenianer das eine oder andere von meinem Appenzeller Dialekt aufgeschnappt. Da musste ich schon lachen, wenn er wieder einmal ‹Nei, da goht nüüd!› gesagt hat.»
50 Tonnen Kehricht – pro Woche
In Herisau werden auf der wöchentlichen Kehrichtabfuhr rund 220 Kilometer auf drei Sammelrouten zurückgelegt und dabei 50 Tonnen Abfall eingesammelt. Bei der Papierabfuhr mit ihrem Turnus alle drei Wochen summiert sich die abtransportierte Menge auf rund 750 Tonnen pro Jahr, bei den jährlich 18 Grünabfuhren kommen über 300 Tonnen zusammen. Die Separatsammlung wird im Auftrag der öffentlichen Hand von der «Thoma Entsorgung» durchgeführt, die Kehrichtabfuhr vom Zweckverband Abfallverwertung Bazenheid.
Eine Publikation der Gemeinde Herisau.